Ich will doch nur spielen!


Endlich! Ein Spieleabend. Einmal wieder „nur“ spielen, ganz ohne Zweck, tiefgreifende Diskussionen und (pseudo-) wissenschaftliche Debatten. Spielen um des Spielens willen. Vier Freunde lud ich ein, sechs kamen, zu siebt quetschen wir uns nun auf unseren kleinen Balkon. Spiele unterschiedlichster Genres, von Wissens- bis hin zu Partyspielen, warten nur darauf uns zu unterhalten. Alex und Tom dürfen auswählen: Auf Monopoly steht Dixit, darüber Dominion und ganz oben die Genius-Version von Trivial Pursuit. Natürlich wählt Alex Trivial Pursuit und natürlich hat niemand etwas einzuwenden. Etwas in mir schreit: Gehe nicht über Los, kappe sofort die W-LAN-Verbindung, deren Zugangsdaten du so lapidar an alle ausgeteilt hast. Sofort! Und vor allem: Konfisziere alle Smartphones.

Ein Wagnis: Trivial Pursuit mit sechs Freunden, die zur Exaktheit und zum Intellektualisieren neigen. Doris lässt keine Möglichkeit aus, ihr direktes Umfeld auf Wissenslücken hinzuweisen. Durch Alex werden diese im Handumdrehen gefüllt. Sarah hilft gerne mit der einen oder anderen zusätzlichen Frage beim Verfestigen des neugewonnen Wissens. Sophia verwandelt jedwede konkrete Diskussion in eine Grundsatzdebatte. Und Tom, unser Joker, kann jede Position einnehmen – ohne dabei wirklich Position zu beziehen. All diese an sich liebenswerten Charakteristika werden jedoch durch mobile Internetnutzung um ein Vielfaches potenziert!

Los geht’s, als Gastgeberin darf ich anfangen. Ich wähle meine Lieblingskategorie Kunst- und Literatur. Der Punkt geht an mich. Die Frage „Wer spielte Woyzeck in der Verfilmung von Werner Herzog aus dem Jahre 1979?“ beantworte ich noch während des Vorlesens. „Natürlich Klaus Kinski. Der Film ist herrlich, ich habe ihn da. Möchte ihn Jemand ausleihen?“ Als ich schon fast aufstehen möchte, hält mich Alex Stimme zurück: „Ich habe das gerade mal gegoogelt. Dürfte ja auch für euch von Interesse sein. So stark wie in Woyzeck zeigte sich Kinski nicht wirklich oft. Natürlich nahm er in seiner früheren, aber auch späten Schaffensphase, auch B-Klasse Filme an, einfach um Geld zu verdienen. Außerdem emigrierte er 1991 nach Amerika.“

Halt, da stimmt doch etwas nicht. Doris hatte uns doch noch gar nicht auf unser Nichtwissen hingewiesen. Holt sie glücklicherweise umgehend nach: „Wahrscheinlich erinnert sich niemand an die Missbrauchsfälle in der Familie Kinski. Oder?“ Sie kommt nicht dazu, uns den Wikipedia-Artikel vorzulesen, denn Sarah kommt ihr zuvor und fragt: „Darf man eigentlich Werk und Verhalten des Künstlers trennen?“. Tom würde sich gerne dazu mit uns allen ein Online-Lecture der Uni Hamburg ansehen. „Geht auch nur 15 Minuten und wir haben alle etwas davon.“

Zum ersten Mal freue ich mich über den Anstoß einer Grundsatzdiskussion durch Sophia, die gerne einmal wüsste, ob das sofortige Googlen von Begrifflichkeiten und vermeintliche Schließen von Wissenslücken sich nicht negativ auf die Diskussionskultur auswirke.


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